19. April 2008

Vor 40 Jahren: Bach in Moskau und St. Petersburg (Russland) - Teil 3 / Schluss -

(Start) (Teil 2)
Aus den Aufzeichnungen von Kieth Engen zur Russland-Tournee des Münchener Bach-Chores und Bach-Orchester vom 14 bis 21. April 1968 nach Moskau und St. Petersburg (damals Leningrad).

In Leningrad, das wir nach nächtlicher Eisenbahnfahrt in sehr bequemen Schlafwagen erreichten, erwartete uns ein ganz besonders schöner Konzertsaal. Der frühere „Adelssaal“ – 1839 erbaut – jetzt: „Leningrader Philharmonie“ – mit 1318 Sitzplätzen und über 800 Stehplätzen. Peter Tschaikowsky dirigierte hier seine 6. Symphonie. Ein merkwürdiger Zufall scheint es wohl gewesen zu sein, daß wir die Johannespassion dort an einem Freitag gaben – und zwar an dem Freitag, der für die russisch-orthodoxe Kirche der Karfreitag ist. Samstag darauf die h-Moll-Messe; beide Konzerte wieder vor ausverkauften Häusern.



Im berühmten Treppenaufgang der Eremitage von St. Petersburg, dem damaligen Leningrad

Wir waren insgesamt 40 Stunden in Leningrad und haben zwischen den beiden Konzerten unser Bestes getan, einen Bruchteil der zahlreichen Schönheiten, die diese Stadt in überreichem Maße anbietet, in uns aufzunehmen. Und an diesem Punkt möchte ich ein Loblied auf unseren Bach-Chor anstimmen. Nach drei großen Konzerten, Proben, Sightseeing, drei langen Empfängen und dem ständigen Drang, Eindrücke zu sammeln – je mehr je besser –, sollten sie an dem letzten Abend die h-Moll-Messe singen, jenes Werk, welches sicher zum Schwierigsten gehört, was Bach je für Chor geschrieben hat.




Konzertplakat vor der St. Petersburger Philharmonie

Sie hatten allen Grund, müde zu sein – körperlich und stimmlich, aber dann passierte eines dieser Wunder, das wir manchmal auf dem Podium oder auf der Bühne erleben dürfen: Sie sangen eine der schönsten h-Moll-Messe, die ich sie je habe singen hören. Ich glaube, ich darf es auch im Namen meiner Solistenkollegen, des großartigen Bach-Orchesters und Karl Richters aussprechen: Es war eine Freude, an diesem Abend Euer Partner zu sein.




Titelseite des Konzertprogramms in St. Petersburg

Das Publikum muß ähnlich gefühlt haben, denn der rhythmische Applaus währte nicht lange, sondern entwickelte sich bald zu warmen, 17 Minuten anhaltenden Beifallskundgebungen, die auch nicht endeten, als Chor und Orchester das Podium verließen. Sofort nach dem Konzert wurden wir wieder in Bussen zum Flugplatz und zu unserer Lufthansamaschine transportiert, die Frankfurt verlassen hatte, eine Stunde, nachdem wir die h-Moll-Messe in Leningrad begonnen hatten.




Vor dem Rückflug von St. Petersburg nach München

Ein Satz, gesprochen von dem Leiter des Leningrader Konservatoriums während des ersten Empfanges in Leningrad, sollte, so meine ich, in allen Grundgesetzen aller Länder verankert sein: „Die Musik ist der beste Baustein für Freundschaft.“
Und wie die Eröffnungsworte der Johannes-Passion (in Moskau) die Wahrheit weit über ihre äußere Bedeutung hinaustragen, so wünschte ich, daß die letzten Worte der h-Moll-Messe, in Leningrad gesungen, in die Herzen aller Menschen geschrieben wären; ohne Rücksicht auf Hautfarbe, Nationalität, politischen oder religiösen Glauben: Dona nobis pacem – gib uns Frieden.

(Schluss)