1. Oktober 2012

Edda Moser erinnert sich an Karl Richter

Zeitzeugen der Ära Karl Richter im Interview

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Edda Moser über das Phänomen "Karl Richter"

Er lebte in seiner großen Ruhe und in seinem Nichtbetonen. Ich denke immer, im Himmel gibt es keine Betonungen - und Richter war der Himmel. Er verströmte eine große Ruhe, und wenn er einmal so eine Bewegung machte, dann war es das eben. Wenn ich denke, das Theater, was diese Dirigenten heute alle machen, um ein Forte raus zu kitzeln, dass einem nur übel werden kann, wenn man eben vergleicht, mit wie wenigen, sparsamen Bewegungen Richter den Himmel geöffnet hat.

Ich glaube, er hat lauter Leute genommen, denen er musikalisch nicht zu helfen brauchte. Er musste einen nur anschauen, gab den Einsatz und sagte höchstens mal „misterioso", und das war's dann auch schon. Und dann kam eben das, was er sich erwartet hatte. Wenn Richter korrigieren oder irgend etwas sagte musste, da hat dann schon etwas nicht gestimmt.



Edda Moser mit Karl Richter in Paris 1970

Bei Richter musste man einfach strömen. Da war eine Glut, da war der volle Körper, der gesungen hat, und nicht wie heute eben, dass die Stimmen nur halb zur Verfügung stehen. Er wollte immer gern Opernstimmen haben, die richtig voll losgelegt haben. Und die eben klagen konnten und jubeln und leiden und im Singen lachen und fröhlich sein konnten. Und tiefste Trauer, das alles wünschte er. Und wer ihm das gab, der war bei ihm in Abrahams Schoß.



Edda Moser mit Karl Richter in Paris 1970

Ich weiß nicht, ob man dieses Phänomen Karl Richter erklären kann, ich glaube es nicht. Richter zu erkären, ist immer nur die Hälfte. Er hatte eine besondere Art an sich, auch von einer großen Erotik. Er hatte eine ungeheure Erotik, wie er zum Beispiel einen Akkord spielte. Er saß ja immer selbst am Cembalo, und wie da etwas wuchs, das war eben so aufregend. Man war einfach platt über das, was da kam. Wenn man da andere Vorstellungen gehört hatte mit anderen Dirigenten, wenn bei Richter eben das Entsetzen wuchs oder die Seligkeit oder die Sehnsucht. Das war bei ihm in einer so romantischen Weise ausgedrückt. Das ist gar nicht zu vergleichen.



Edda Moser im Interview am 26. Juli 2004 in ihrem Haus in Rheinbreitbach

Edda Moser über ihr Repertoire bei Karl Richter

Ich habe gar nicht so viel Bach mit ihm gemacht, ja, Beethoven Missa Solemnis, Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy in Ottobeuren und Dvorak Stabat Mater, also Sachen, die im Grunde genommen noch ein bisschen mehr Opernaplomb brauchten. Und da hat er mich eben für diese Partien engagiert. Natürlich habe ich auch Matthäus-Passion, Johannes-Passion, Weinachtsoratorium und h-moll-Messe mit Richter, hauptsächlich in München, gesungen. Aber wir waren eben auch mehrmals im Ausland, in Paris, in Südamerika. Das hat mich geprägt und auch sehr anspruchsvoll gemacht, so dass ich nach dem Tod von Richter nie wieder Bach gesungen habe. Das war nicht mehr möglich.



In Ottobeuren schließlich immer über 3000 Menschen und keine Presse, weil er eben auch ein etwas gestörtes Verhältnis zur Presse hatte. Er sagte ja immer, er lese keine Presse, und dann sah man, wie ihm aus der Tasche die Zeitungen herausragten. Darum hat man ihn auch nicht weiter darauf angesprochen. Aber in Ottobeuren, in bayrischen Landen, war es möglich, diese Musik zu machen. Da brauchte keine Presse dabei zu sein, und das machte es für uns alle leichter. Wir haben dadurch auch befreit gesungen. Angst hatte man natürlich, dem musikalischen Anspruch nicht zu genügen, aber man war ja so beflügelt. Man wusste, er ließ einen singen. Wenn da einer ein schönes Piano sang, dann ließ er einen eine Fermate machen, so lange wie man wollte. Und er konnte sich auf uns verlassen, wir haben niemals die Geschmacksgrenzen übertreten.



Edda Moser mit Leonard Bernstein

Edda Moser über "Natürlichkeit" in der Musik

Ich stamme aus einem Haus, in dem die Bachtradition sehr gepflegt wurde. Ich bin auch in Weimar aufgewachsen oder, besser gesagt, in Sachsen und Thüringen. Ich habe von Anfang an eine Selbstverständlichkeit für Bach gehabt. Die Erziehung meiner Eltern war so, dass ich auch mit dieser Selbstverständlichkeit die Phrasierung gemacht habe, die Appoggiaturen (Vorschläge) oder wie welches Tempo, dass es nicht zu schnell war, oder auch die Koloraturen. Es gab keine Diskussionen, Richter fing an und ich folgte. Es war nicht nur ein sich miteinander Verständigen, sondern wir haben beide die Musik gemacht, und da war nie ein Zweifel. Nun war ich auch flexibel, ich wusste, ob die Koloratur nun schneller oder langsamer sein sollte. Und ich hatte nie das Gefühl, o Gott, ich komme nicht mit, oder so etwas. Richter hatte da eine ganz große Natürlichkeit in der Tempoangabe. Da hatte ich nie irgendwelche Probleme.



Edda Moser in ihrer Paradrolle als "Königin der Nacht" in Mozarts "Zauberflöte"

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