Herzlichen Glückwunsch zum 80.
Geburtstag!
Paul Meisen, zusammen mit Aurèle Nicolet Karl Richters bevorzugter Soloflötist im Münchener
Bach-Orchester, aber auch in der Kammermusik, wurde am 19. Oktober 1933 in Hamburg geboren.
Zum Leben und Wirken von Paul Meisen
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Paul Meisen Mitte der 1960er Jahre
Schon in frühen Jahren fühlte sich Paul Meisen in besonderem Maße dem pädagigischen Wirken verpflichtet.
Es sagte uns im Interview am 15. Juni 2005 in seinem Haus in Gerolsbach/Obb. u.a.:
...Die Dinge haben sich bei mir organisch entwickelt. Entweder meine
Orchesterlaufbahn hätte weiter nach oben gehen können oder müssen, ich war hauptsächlich Soloflötist im
Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Es gab Kontakte zu den Berliner Philharmonikern, es gab auch
bereits Gespräche mit der Detmolder Musikhochschule. Ich war damals Ende 30, für ein Orchester als
Musiker nicht mehr ganz jung, für einen Pädagogen noch sehr jung. Da habe ich überlegt: Mich jetzt zu den
Berlinern zu drängeln, das würde doch bedeuten, mich noch einmal unterordnen zu müssen. Inzwischen war
mein Gefühl aber so, ich möchte mich nicht mehr so viel unterordnen. Ich möchte nun selber etwas bewirken.
Dann habe ich mich entschieden, den pädagogischen Weg zu gehen, nach Detmold. Das habe ich nie
bereut, auch wenn ich diese und jene Brahms-Sinfonie ganz gern noch mal gespielt hätte.
Paul Meisen und Aurèle Nicolet beim Bachfest Ansbach 1961
Aber zwei Dinge haben mir besonders geholfen in der Erinnerung an die
Orchesterzeit. Bei der Bach-Interpretation war für mich Karl Richter maßgebend. Er hat mir den Mut
gegeben, Bach zu interpretieren, zu spielen, auch aus dem Bauch heraus, aber auch aus der Analyse
heraus. Von daher habe ich ein besonderes Verhältnis zu Bach gehabt, entwickelt als Spieler und auch als
Pädagoge.
Paul Meisen und Otto Büchner in Siegerpose beim Bachfest Ansbach 1961
In meiner Orchesterzeit war natürlich der Orchesterkonzert-Teil sehr
wichtig, aber ich war ja in einem Doppelfunktionsorchester, das sowohl Oper als auch Konzert gemacht hat.
Da ist für mich eine unerschöpfliche Erinnerungsquelle die Arbeit in der Oper mit den Sängern. Also für Bach
die Arbeit mit Karl Richter, als Basis meines pädagogischen Wirkens, und ansonsten die Intuition über die
Sänger, mehr als über die reine Konzertliteratur.
Dieses alles hat dazu geführt, dass ich von Detmold über München, wo
ich 15 Jahre an der Musikhochschule war, bis nach Tokio und wieder zurück gekommen bin. Das ist ein
großer Bogen, unlösbar mit Karl Richter verbunden und unlösbar mit meiner Operntätigkeit.
Paul Meisen im Jahr 1969
Paul Meisen über die Japan-Tournee 1969
... Die Japan-Tournee 1969 war sicherlich der Höhepunkt. Beeindruckt waren wir ja auch von der Wechselwirkung von Podium aus, Karl Richters Ausstrahlung, aber auch die Wechselwirkung vom Publikum her. Es soll, und ich glaube, das ist auch richtig, die erste ungekürzte Fassung der Matthäus-Passion gewesen sein, die in Japan erklungen ist. Und wir erinnern uns an den wunderschönen großen Saal Bunka Kaikan, voll bis auf den letzten Platz, und das Publikum hatte die Texthefte vor sich. Sie verfolgten alle einzeln den Text in Deutsch. Und sie blätterten alle um, wir spürten, dass alle umblätterten, wir hörten aber kein Geräusch, die Konzentration war so faszinierend. Das war vielleicht die beeindruckendste Matthäus-Passion meines Lebens. Diese Geschlossenheit, diese Einheit zwischen Hörern und Spielern, da ging kein Blatt dazwischen, das war ein Ganzes. Für mich war es das unvergessendste und unvergesslichste Erlebnis der Matthäus-Passion.
Paul Meisen im Jahr 1970
Paul Meisen über Interpretation, Artikulation und Tempo bei Karl Richter
Richter war ja nicht im üblichen Sinn ein Dirigent. Man konnte nicht sagen, dass er ein Taktstockvirtuose war. Im Grunde kam seine Interpretation aus seinem Innersten. Und auch wenn die Dirigierbewegungen gar nicht immer übereinstimmten, die Übereinstimmung mit seinem Inneren war immer gewährleistet, das war etwas Geheimnisvolles. Man merkte auch, wenn es nur die geringste Abweichung gab, ein Sechzehntel oder Zweiunddreißigstel, dass er sofort reagierte. Sein inneres Bild war so stark, dass es sich auf seine Interpretation unmittelbar auswirkte. Ich glaube, er hätte gar nicht zu dirigieren brauchen. Und dass er die großen Passionen, auch die h-moll-Messe, so auswendig beherrschte, dass er auch vom Cembalo her in den Rezitativen Note für Note in seinem Inneren gespeichert hatte, das alles machte ihn zu einer unglaublich charismatischen Figur.
Bei ihm hat man erst einmal einen Begriff von Artikulation bekommen. In der Zeit, in der ich meine wesentlichen Orchestererfahrungen machte, das war ja eigentlich die Blüte und das Ende der Zeit des romantischen Orchesterklanges, hat man im Orchester nicht so deutlich artikuliert. Obwohl er eigentlich ein romantischer Bachinterpret war, hat er uns doch sehr klar gemacht, wie eine Artikulation zu sein hatte, und er hat auch beklagt, dass Orchestermusiker von Natur aus so wenig artikulieren können.
Aber was ich auch noch bei ihm gelernt habe, was sich mir eingeprägt hat, das ist seine Beziehung zum Tempo gewesen. Ich habe bei ihm begriffen: Wenn man ein langsames Tempo wählt, dann muss es von innen heraus schnell gespielt werden. Und wenn man ein schnelles Tempo wählt, dann kann man es von innen heraus langsam spielen. Diese Ambivalenz ist mir bei ihm bewusst geworden und hat mich eigentlich ein Leben lang begleitet und geprägt, auch später dann in meiner Pädagogik.
Paul Meisen im Interview am 15. Juni 2005 in Gerolsbach/Obb.
Das gesamte Interview findet sich in der Buch-Dokumentation "Karl Richter in München
- Zeitzeugen erinnern sich" und ist in deutscher Sprache sowie in der englischen Übersetzung auf dem Karl Richter-Archiv abrufbar.
Das
komplette Interview in Bild und Ton, aus dem dieser Videoclip stammt, gibt es auf DVD.