26. März 2008

Die Ära Karl Richter in München: Die Jahre 1967 ff. [DE]

Die letzten Jahre des Jahrzehnts brachten Karl Richter und seinem Ensemble große Erfolge in aller Welt. Im Frühjahr 1967 führte eine Konzertreise wieder nach Italien und in die Schweiz, bei der Hermann Baumann sein Debüt feierte. Diese Tournee führte zunächst nach Parma, wo anlässlich des hundertsten Geburtstages von Arturo Toscanini im Teatro Regio Bachs h-moll-Messe zur Aufführung gelangte.


Eintrag ins Gästebuch des Toscanini-Museums in Parma

Dann ging es zurück in die Schweiz zum Bachfest Schaffhausen. Im Münster fand ein Orgel/Motettenkonzert, u.a. mit der Bach-Motette 'Jesu, meine Freude' statt, und in der Johanniskirche erklang wiederum die h-moll-Messe. Dieses Werk bestimmte auch die weiteren Stationen der Reise: Genf, Lausanne, Turin, Lucca und Vicenza.



Konzertplakat in Genf

Im September 1967 wurde Karl Richter mit Chor und Orchester zu Konzerten in Montreal als deutscher Kulturbeitrag zur Weltausstellung eingeladen. Weitere Konzerte, jeweils mit h-moll-Messe und Schöpfung, folgten in Washington und in New York.



Abflug in München-Riem

Der Kritiker der Washington Post, Alan Kriegsman lobte mit den Worten: „Rein, plastisch, einheitlich, bewundernswert phrasiert, deutlich artikuliert, sauber und prächtig im Klang“ - und Harold Schonberg, der Kritikerpapst der New York Times, schrieb: „alles war strahlend und rein, alle waren zusammen, jeder machte Musik.“



J.F. Kennedy’s Grab in Arlington, VA

1968 und 1970 gastierten Karl Richter mit Bach-Chor und Bach-Orchester in der damaligen UdSSR, 1968 kamen im Tschaikowsky-Konservatorium Moskau und in der Philharmonie Leningrad jeweils die h-moll-Messe und die Johannes-Passion zur Aufführung, zwei Jahre später dann neben der h-moll-Messe auch Haydns Jahreszeiten.

Lotte Schädle

"Die Russen waren so begeistert. Wir hatten einen viertelstündigen Applaus! Dann bekam ich obendrein an die Bayerische Staatsoper einen Brief von einem 19jährigen Russen geschickt, einem Studenten, in perfektem Deutsch. Er schrieb mir einen 28 Seiten langen Brief, eine einzige Lobeshymne über unsere Konzerte, die dort stattgefunden hatten."

Ursula Buckel

"In Moskau haben wir im Tschaikowsky-Konservatorium die Johannes-Passion aufgeführt. Da kamen die Zuhörer oben durch die Fenster, und die jungen Leute, die Studenten, waren oben auf dem Dachboden und haben da mitgehört. Sie haben uns fast bedrängt und gefragt, wieso wir das nur einmal aufführen, sie seien doch so viele Menschen. Aber das war ja nicht vorgesehen."



Konzertplakat in Moskau

"Es war eine wunderbare Stimmung und es herrschte absolute Stille, nachdem es zu Ende war. Und plötzlich hörte man Schritte auf dem Boden, ganz langsam. Da war ein altes Mütterchen mit Kopftuch und hatte drei oder vier Blümchen in der Hand und lief von ganz hinten mit den Blümchen vor zu Richter und gab ihm diese Blumen.

Es war alles voll, und in der dritten Reihe seh ich einen sehr großen Mann sitzen, mit Jeanshose und eigentlich angezogen wie ein Kosak, Schnurrbart und schwarze Haare, auf jeden Fall habe ich mir gesagt, was macht der hier in der h-moll-Messe? Er passte so gar nicht in das Konzert. Und da gucke ich wieder hin und sehe, der spricht jeden Ton mit oder singt sogar leise. Die ganze Messe durch."

Kieth Engen

Es war ein Jubel dabei, denn sie haben das erste Mal die Johannes-Passion in solcher Vollendung gehört. Und es waren vor allem junge Leute. Das war auch vielleicht die Verbindung zwischen diesem jungen Chor und diesem jungen Publikum in Moskau. In Leningrad war es in diesem herrlichen klassischen Konzertsaal, aber es war ein ganz anderes Publikum. Es war ein reiferes Publikum, es war auch hell begeistert, aber es war anders.

Hertha Töpper

"Wunderschön war der Saal des Tschaikowsky-Konservatoriums. Fast bin ich da über eine Stufe gestolpert vor Erstaunen über die Medaillons mit Portraits von Komponisten an den Wänden, wo ich gleich dem Schubert und dem Wagner gegenüber gestanden bin. Die Akustik war wunderbar. Das erfährt man ja immer, wenn man das Piano vom Agnus Dei ansetzt und der Saal das dann gleich übernimmt. Das war auch in Leningrad im Saal der Philharmonie so."


Probe in der Leningrader Philharmonie