4. Oktober 2005

Joachim Kaiser - Zeitzeuge

Joachim Kaiser, Theater-, Literatur- und Musikpublizist, seit 1959 leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat Karl Richter von Anfang an in München kritisch begleitet. Auch dank seiner Rezensionen sowie derer seines Kollegen bei der SZ, Karl Schumann, wuchsen Name und Ansehen Richters in kurzer Zeit weit über die Grenzen Münchens hinaus.

Im vergangenen Jahr hatte Joachim Kaiser uns zugesagt, für das Buch-Projekt die künstlerische Würdigung von Leben und Wirken Karl Richters zu übernehmen. Aus persönlichen Gründen war es ihm nun leider nicht möglich, den angepeilten Zeitpunkt für das Interview rechtzeitig für die Buchdokumentation wahrzunehmen.

Er gab uns aber dankenswerterweise die Abdruckerlaubnis für alle seine über Karl Richter verfaßten Texte.

Hier ein Auszug aus Joachim Kaisers Nachruf zu Karl Richters Tod, erschienen in der SZ am 17. Februar 1981:

Münchener Bach-Chor und Bach-Orchester
... In den frühen fünfziger Jahren schon gründete er seinen Bach-Chor, dirigierte er sein Bach-Orchester, machte er seine großen Passions-Aufführungen zum Mittelpunkt des Münchner Musiklebens. Karl Richter hat - in einer angeblich grob materialistischen Zeit - vorgeführt, daß ein kundiger, ernster und enthusiastischer Glaube an Bach, Handwerks-Ethos und eine stete Risiko-Bereitschaft mehr als Berge versetzen kann: nämlich Chöre besetzen, Orchestermusiker animieren und Kultursnobs in Jünger verwandeln.

Nicht nur Bach
Bei Bach fand er immer wieder eine neue Mitte, eine neue Spannung der auseinanderstrebenden Linien. Händel dirigierte er nicht bloß machtvoll statuarisch, sondern in jeder Einzelheit reich, fast nervös, empfindsam. Sein Mozart klang manchmal etwas zu brandenburgisch. Aber auch mit Beethoven, Wagner, Bruckner setzt er sich heftig auseinander.

Moskau
So wuchs sein Ruhm. Was er in Moskau erlebte, in Leningrad (wo sich das Publikum verstohlen die Bibelworte mit aufschrieb, wo Bachs Passionen Neuland waren, so daß russische Musiker in die völlig ausverkauften Konzerte schlichen, eine Geige unterm Arm, damit man sie als vermeintliche Mitwirkende hereinlasse), davon erzählte er im Tone tiefster Bewegtheit. New York und Japan und Südamerika folgten ...


| |