27. Juni 2008
Bach-Fest 1968 - Abschluss mit Violinsonaten und weltlichen Kantaten
...Spielt Otto Büchner Bach, dann ist ihm Triumph gewiss. Denn dieser Geiger ist ein Phänomen: ohne extreme Vitalität, ohne überragende Virtuosität und ohne die kleinsten effektgebundenen Espressivomanieren bringt er Bachs Musik trotzdem oder gerade deshalb zu höchster Wirkung. Sein Kammermusikstil erscheint mir ideal. Solist und Partner in einem, ein Wunder in den langsamen Sätzen, ein Musiker, der Bachs Natürlichkeit für sich entdeckte und sie zugleich ohne äußeren Aufwand verwirklichen und mitteilen kann. Am Cembalo herrlich konzentriert Karl Richter, der es offensichtlich ablehnt, jemals müde zu werden.
Am Abend dann der emphatische Ausklang einer Konzertwoche, die Münchens musikalische Landschaft nicht nur im Augenblick einschneidend prägen wird. Richter zeigte uns da mehr den irdischen als den überirdischen Bach. Prunkvolle, sehr auf Wirkung bedachte, Händel-nahe Auftragskompositionen für diverse Geburts- oder Namenstage....
Es war ein großer, festlicher Abschlussabend, mit rauschenden, sehr organisch angelegten Chören (im Forte so exzellent wie selten der Münchener Bach-Chor), mit einer elitären Auswahl an Instrumentalsolisten, einem vorzüglich besetzten Continuo und Gesangssolisten, die die schweren Koloraturarien mit teilweise virtuoser Bravour meisterten. Ein Kompliment Ernst Haefliger, der die sächsische Jubelei mit viel deklamatorischem Witz und einem Quentchen sympatischer Ironie würzte. Karl Richter dankte triumphaler Jubel.
(Antonio Mingotti im Münchner Merkur)
Bach-Fest 1968 - Orchesterkonzert mit Maurice André
Maurice André mit seiner Bach-Trompete
Antonio Mingotti schrieb im Münchner Merkur:
...Worte, die dieses hinreißende Konzert wirklich beschreiben könnten, sind noch nicht erfunden worden. Es gäbe eine ganze Liste von „Einzelarbeitern", die das Wieso oder Warum des überwältigenden Erfolgs sporadisch zu erklären versuchen könnte. Doch was soll’s. Hier muß geschwärmt werden. Es gibt eine Stufe der musikalischen Interpretation, die den materiellen Charkter der Klänge weit hinter sich lässt, an deren Ende eine Symbiose aus Geist und Sinnlichkeit alles Dagewesene rauschthaft hinwegschwemmt.
Dem Dirigenten und den Solisten Goldrahmen aus Begeisterung und Anerkennung!
26. Juni 2008
Bach-Fest 1968 - Orgelkonzert
Den Orgelabend in der Markuskirche kann man zu den schönsten Konzerten zählen, die Karl Richter in München gegeben hat, schreibt Florian Fricke in der SZ. "In der letzten Zeit schon zeichnete sich ab, dass Richter die Extreme - überraschend schnelle oder ungewöhlich langsame Tempi - jetzt nicht mehr so schätzt, dass er zur Mitte gefunden hat, ohne jedoch dabei Vitalität, kraftvolle Substanz eingebüßt zu haben... Er verfügt über diese fantastische Formsicherheit, über einen Anschlag, der jeden Ton zum Singen bringt, über eine selbstverständlich anmutende, unaufwändige Disposition...
Richter spielte die Partite diverse sopra „O Gott, du frommer Gott", die G-Dur Triosonate, Toccata und Fuge in d-moll, Präludium und Fuge in h-moll und den Orgelchoral „Schmücke dich, o liebe Seele".
22. Juni 2008
Bach-Fest 1968 - Die ersten Konzerte
Karl Heinz Ruppel schrieb in der SZ u. a.:
...Am meisten vermochte Christian Ferras mit der großartigen Fuge aus der g-moll-Sonate für Violine solo zu überzeugen, die er klang- und kraftvoll aus ihrer polyphonen Kühnheit entwickelte, die Geige zum Träger harmonischer Gedanken „umfunktionierend", ohne dabei ihren eigentlichen Charakter als singendes Melodieinstrument zu vergessen. Münchner Bach-Begeisterung entlud sich im Herkulessaal in rauschendem Beifall...
...Tags darauf versammelte Karl Richter in der h-moll-Messe, das Riesenwerk auswendig dirigierend, im Deutschen Museum allen Glanz einer hochbarocken geistlichen Festmusik..., die zu einem Triumph des von ihm geschaffenen und ihm mit spürbarer Begeisterung dienenden Klangkörpers wurde, des Münchener Bach-Chors und Bach-Orchesters, die sich der Verpflichtung ihres inzwischen weltweit gewordenen Ruhmes auch in der Heimat bewusst bleiben... Zum Schluss brach, obgleich Richter einige Zeit beschwichtigend die linke Hand erhoben hielt, ein Beifallssturm aus, in den bald auch Bravorufe hineinhallten.
21. Juni 2008
Münchener Bach-Fest 1968
Vor 40 Jahren, anno 1968, veranstaltete Karl Richter mit seinem Bach-Chor und Bach-Orchester zum vierten Mal das Münchener Bach-Fest. In der Zeit vom 22. bis 30. Juni stand die bayerische Landeshauptstadt ganz im Zeichen Johann Sebastian Bachs.
Der Konzertplan dieser musikalisch ereignisreichen Woche enthielt folgende Konzerte und Veranstaltungen:
Samstag, 22. Juni 1968, 17.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Festvortrag von Professor Dr. Erich Valentin:
"Johann Sebastian Bach in Zeit und Geschichte"
Paul Meisen (Flöte) und Hedwig Bilgram (Cembalo) spielten die Sonaten BWV 1034 und BWV 1030.
Samstag, 22. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Christian Ferras (Violine) und Karl Richter (Cembalo) spielten die Sonaten für Violine und Cembalo BWV 1014, 1015, 1016 sowie die Fuge aus BWV 1001 für Violine solo
Sonntag, 23. Juni 1968, 11.00 Uhr im Cuvilliestheater
Goldberg-Variationen BWV 988 (Karl Richter, Cembalo)
Sonntag, 23. Juni 1968, 20.00 Uhr im Deutschen Museum
Hohe Messe h-moll
Montag, 24. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Klavierrecital mit Friedrich Gulda
Dienstag, 25. Juni 2006, 20.00 Uhr in der Markuskirche
Kirchenkantaten (BWW 50, 103, 75, 30)
Mittwoch, 26. Juni 1968, 20.00 Uhr in der Markuskirche
Orgelkonzert (Karl Richter)
BWV 767, 530, 538, 654, 544
Donnerstag, 27. Juni 1968, 20.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Cembalokonzert mit Ralph Kirkpatrick
BWV 814, 802-805, 829, 811
Freitag, 28. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Sonaten für Violoncello und Cembalo (BWV 1027, 1028, 1029) sowie Suite d-moll BWV 1008 für Violoncello solo mit Enrico Mainardi (Violoncello) und Karl Richter (Cembalo)
Samstag, 29. Juni 1968, 17.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Festvortrag von Prof. D.Dr. Manfred Mezger-Mainz: "Bachstil heute - Gesetz und Freiheit der Interpretation"
Wolfgang Wünsch (Orgel) spielte BWV 544 und 543
Samstag, 29. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Orchesterkonzert (BWV 1068, 1051, 1049, 1047)
Sonntag, 30. Juni 1968, 20.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Sonaten für Violine und Cembalo (BWV 1019, 1018, 1017)
Otto Büchner (Violine) und Karl Richter (Cembalo)
Sonntag, 30. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Weltliche Kantaten (BWV 205, 206, 207 a)
Der Konzertplan dieser musikalisch ereignisreichen Woche enthielt folgende Konzerte und Veranstaltungen:
Samstag, 22. Juni 1968, 17.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Festvortrag von Professor Dr. Erich Valentin:
"Johann Sebastian Bach in Zeit und Geschichte"
Paul Meisen (Flöte) und Hedwig Bilgram (Cembalo) spielten die Sonaten BWV 1034 und BWV 1030.
Samstag, 22. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Christian Ferras (Violine) und Karl Richter (Cembalo) spielten die Sonaten für Violine und Cembalo BWV 1014, 1015, 1016 sowie die Fuge aus BWV 1001 für Violine solo
Sonntag, 23. Juni 1968, 11.00 Uhr im Cuvilliestheater
Goldberg-Variationen BWV 988 (Karl Richter, Cembalo)
Sonntag, 23. Juni 1968, 20.00 Uhr im Deutschen Museum
Hohe Messe h-moll
Montag, 24. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Klavierrecital mit Friedrich Gulda
Dienstag, 25. Juni 2006, 20.00 Uhr in der Markuskirche
Kirchenkantaten (BWW 50, 103, 75, 30)
Mittwoch, 26. Juni 1968, 20.00 Uhr in der Markuskirche
Orgelkonzert (Karl Richter)
BWV 767, 530, 538, 654, 544
Donnerstag, 27. Juni 1968, 20.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Cembalokonzert mit Ralph Kirkpatrick
BWV 814, 802-805, 829, 811
Freitag, 28. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Sonaten für Violoncello und Cembalo (BWV 1027, 1028, 1029) sowie Suite d-moll BWV 1008 für Violoncello solo mit Enrico Mainardi (Violoncello) und Karl Richter (Cembalo)
Samstag, 29. Juni 1968, 17.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Festvortrag von Prof. D.Dr. Manfred Mezger-Mainz: "Bachstil heute - Gesetz und Freiheit der Interpretation"
Wolfgang Wünsch (Orgel) spielte BWV 544 und 543
Samstag, 29. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Orchesterkonzert (BWV 1068, 1051, 1049, 1047)
Sonntag, 30. Juni 1968, 20.00 Uhr in der Hochschule für Musik
Sonaten für Violine und Cembalo (BWV 1019, 1018, 1017)
Otto Büchner (Violine) und Karl Richter (Cembalo)
Sonntag, 30. Juni 1968, 20.00 Uhr im Herkulessaal der Residenz
Weltliche Kantaten (BWV 205, 206, 207 a)
11. Juni 2008
Ehemalige Mitlieder des Münchener Bach-Chores erinnern sich an Karl Richters Probenarbeit (3)
(und Schluss) Teil 1 | Teil 2
Die Generalproben waren selbstverständlich sehr konzentriert, es ging wirklich Schlag auf Schlag. Man hatte, auch wenn Orchester oder Solisten dran waren, kaum Zeit, an etwas anderes zu denken. Es wurde aber trotzdem nicht auf Perfektion geprobt, dass im Konzert nur wiederholt würde, was einstudiert worden war. Es war grundsätzlich so, dass man damit rechnete, dass im Konzert so und so viel völlig anders kommen würde als in der Generalprobe.
Ich erinnere mich an eine Matthäus-Passion, wo er in der Geduld-Arie im Konzert selbst das Continuo am Cembalo übernehmen wollte und Hedwig Bilgram bedeutete, sie möge langsam aussteigen. Das ging mit einer relativ dezenten Geste. Er ist gleichzeitig, zunächst im Piano, vorsichtig am Cembalo eingestiegen und hatte nach drei oder vier Takten das Ganze übernommen. Das war für alle Beteiligten nicht voraus zu sehen. Ähnliches galt selbstverständlich auch für den Chor. Eine grundsätzliche Äußerung, vor allem in den letzten Jahren, war zum Schluss der Generalprobe: „Gut aufpassen morgen Abend!“
Bei den Generalproben für die h-moll-Messe, sie war ja nun damals das Stück des Münchener Bach-Chores, mussten wir meistens nicht mehr viel proben. Er hat uns da hingestellt, am Anfang das Kyrie und so ein bisschen noch etwas, und dann kam nur noch: Adagio, Nr. 19. Das war das Grausen für uns alle. Wir waren immer nervös, er wollte extremes Pianissimo, und der Chor detonierte, wurde dann regelmäßig tiefer und tiefer. Sogar das Orchester fürchtete sich schon immer vor dieser Stelle, und wir natürlich noch viel mehr. Aber immer in der Generalprobe: Adagio, Nr. 19!
Bei der Generalprobe hatte Karl Richter natürlich kein Publikum, und die Raumakustik war damit ganz anders als bei einer Aufführung. Ich konnte ihn vor der letzten Aufführung 1980 in der Basilika in Ottobeuren an der Orgel erleben, wie er versuchte, die verschiedenen Wirkungen des Nachhalls auszuprobieren, wo die Schallwellen hingehen und wieder zurück kommen. Er hatte ein unwahrscheinliches Gefühl für diese Raumakustik. Das ist mir als Architekt immer wieder aufgefallen, dass er einen Raum so einschätzen konnte.
Ich erinnere mich noch, wie wir einmal in der Michaelskirche in München Motetten gesungen haben. Da war eines der Werke: Brahms, Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen. Und plötzlich sagte er zu mir: „Elsdörfer, übernehmen Sie mal.“ Und dann ging er durch die ganze Kirche und hörte sich von allen möglichen Stellen aus an, wie da der Raumklang war.
Der vollständige Wortlaut der Interviews ist in der Buch-Dokumentation Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich [ISBN: 978-3000168642] enthalten.
Das Buch und die DVD Trilogie sind im gut sortierten Buch- und Musikfachhandel oder online auch im Karl Richter Shop auf Conventus Musicus erhältlich.
Die Generalproben waren selbstverständlich sehr konzentriert, es ging wirklich Schlag auf Schlag. Man hatte, auch wenn Orchester oder Solisten dran waren, kaum Zeit, an etwas anderes zu denken. Es wurde aber trotzdem nicht auf Perfektion geprobt, dass im Konzert nur wiederholt würde, was einstudiert worden war. Es war grundsätzlich so, dass man damit rechnete, dass im Konzert so und so viel völlig anders kommen würde als in der Generalprobe.
Ich erinnere mich an eine Matthäus-Passion, wo er in der Geduld-Arie im Konzert selbst das Continuo am Cembalo übernehmen wollte und Hedwig Bilgram bedeutete, sie möge langsam aussteigen. Das ging mit einer relativ dezenten Geste. Er ist gleichzeitig, zunächst im Piano, vorsichtig am Cembalo eingestiegen und hatte nach drei oder vier Takten das Ganze übernommen. Das war für alle Beteiligten nicht voraus zu sehen. Ähnliches galt selbstverständlich auch für den Chor. Eine grundsätzliche Äußerung, vor allem in den letzten Jahren, war zum Schluss der Generalprobe: „Gut aufpassen morgen Abend!“
Bei den Generalproben für die h-moll-Messe, sie war ja nun damals das Stück des Münchener Bach-Chores, mussten wir meistens nicht mehr viel proben. Er hat uns da hingestellt, am Anfang das Kyrie und so ein bisschen noch etwas, und dann kam nur noch: Adagio, Nr. 19. Das war das Grausen für uns alle. Wir waren immer nervös, er wollte extremes Pianissimo, und der Chor detonierte, wurde dann regelmäßig tiefer und tiefer. Sogar das Orchester fürchtete sich schon immer vor dieser Stelle, und wir natürlich noch viel mehr. Aber immer in der Generalprobe: Adagio, Nr. 19!
Bei der Generalprobe hatte Karl Richter natürlich kein Publikum, und die Raumakustik war damit ganz anders als bei einer Aufführung. Ich konnte ihn vor der letzten Aufführung 1980 in der Basilika in Ottobeuren an der Orgel erleben, wie er versuchte, die verschiedenen Wirkungen des Nachhalls auszuprobieren, wo die Schallwellen hingehen und wieder zurück kommen. Er hatte ein unwahrscheinliches Gefühl für diese Raumakustik. Das ist mir als Architekt immer wieder aufgefallen, dass er einen Raum so einschätzen konnte.
Ich erinnere mich noch, wie wir einmal in der Michaelskirche in München Motetten gesungen haben. Da war eines der Werke: Brahms, Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen. Und plötzlich sagte er zu mir: „Elsdörfer, übernehmen Sie mal.“ Und dann ging er durch die ganze Kirche und hörte sich von allen möglichen Stellen aus an, wie da der Raumklang war.
Der vollständige Wortlaut der Interviews ist in der Buch-Dokumentation Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich [ISBN: 978-3000168642] enthalten.
Das Buch und die DVD Trilogie sind im gut sortierten Buch- und Musikfachhandel oder online auch im Karl Richter Shop auf Conventus Musicus erhältlich.
7. Juni 2008
Ehemalige Mitlieder des Münchener Bach-Chores erinnern sich an Karl Richters Probenarbeit (2)
Richter sprach bei den Proben im Grunde sehr wenig. Er erklärte wenig, warum er das so oder so haben will, oder wie es anders sein soll, er zeigte alles durch Dirigieren, durch seine Gesten, die Körpersprache und vor allem auch durch seine Mimik. Wenn er die Stirn runzelte oder die Nase so ein bisschen kraus zog, wussten wir alle, wie er es meinte und was er dann auch speziell haben wollte.
Ab und zu hat er dann von jeder Stimme einen, also im Quartett singen lassen. Dann ist er durch die Reihen gegangen, hat sich neben einen gestellt und genau zugehört.
Was faszinierend war, dass er jederzeit jeden im Blickfeld hatte, auch wenn er ganz wo anders hinsah. Und was ich so sehr geschätzt habe, war diese handwerkliche Perfektion, mit der er seine Proben gehalten hat. Ganz abgesehen vom Künstlerischen, er wusste genau über jede Stimme, über Aussprache, über all das Bescheid, und mit ganz wenig Worten und Gesten wurde das sofort auf den Chor übertragen. Es war faszinierend, man hat als Musiker auch unglaublich viel in den Proben gelernt.
Die Aufführungen unter Karl Richter waren natürlich immer ein riesiges Erlebnis. Aber genau so große Erlebnisse waren für mich die Proben. Es gab auch Proben, in denen nicht nur gearbeitet wurde. Ich erinnere mich an eine Probe immer wieder, da sagte Richter in den letzten 20 Minuten: „So, jetzt singen wir Singet dem Herrn ein neues Lied.“ Wir packen die Motetten aus, und er lässt die ganze Motette ohne eine Unterbrechung durchlaufen. Man hat gemerkt, dass es ihm selbst wahrscheinlich ein Bedürfnis war, diese Musik mit uns zu machen. Da war eine Spannung drin wie in einem Konzert. Er schlägt den letzten Ton ab, nimmt den Mantel und geht.
Es waren auch am Samstagnachmittag Proben, die er nicht halten konnte, und ich sollte sie übernehmen. Ich fragte ihn aber: „Ja, meinen Sie, dass da wirklich alle kommen, bei diesem schönen Wetter?“ Es war Ende Juli. „Ach, wissen Sie,“ meinte er, „jedem Recht machen kann es nur ein Esel.“ So ging die Probe über die Bühne, und es waren alle da, ohne Ausnahme. Ich konnte eine volle h-moll-Messe-Probe machen können, obwohl sie Samstagnachmittag um drei Uhr angesetzt war.
Der vollständige Wortlaut der Interviews ist in der Buch-Dokumentation Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich [ISBN: 978-3000168642] enthalten.
Ab und zu hat er dann von jeder Stimme einen, also im Quartett singen lassen. Dann ist er durch die Reihen gegangen, hat sich neben einen gestellt und genau zugehört.
Was faszinierend war, dass er jederzeit jeden im Blickfeld hatte, auch wenn er ganz wo anders hinsah. Und was ich so sehr geschätzt habe, war diese handwerkliche Perfektion, mit der er seine Proben gehalten hat. Ganz abgesehen vom Künstlerischen, er wusste genau über jede Stimme, über Aussprache, über all das Bescheid, und mit ganz wenig Worten und Gesten wurde das sofort auf den Chor übertragen. Es war faszinierend, man hat als Musiker auch unglaublich viel in den Proben gelernt.
Die Aufführungen unter Karl Richter waren natürlich immer ein riesiges Erlebnis. Aber genau so große Erlebnisse waren für mich die Proben. Es gab auch Proben, in denen nicht nur gearbeitet wurde. Ich erinnere mich an eine Probe immer wieder, da sagte Richter in den letzten 20 Minuten: „So, jetzt singen wir Singet dem Herrn ein neues Lied.“ Wir packen die Motetten aus, und er lässt die ganze Motette ohne eine Unterbrechung durchlaufen. Man hat gemerkt, dass es ihm selbst wahrscheinlich ein Bedürfnis war, diese Musik mit uns zu machen. Da war eine Spannung drin wie in einem Konzert. Er schlägt den letzten Ton ab, nimmt den Mantel und geht.
Es waren auch am Samstagnachmittag Proben, die er nicht halten konnte, und ich sollte sie übernehmen. Ich fragte ihn aber: „Ja, meinen Sie, dass da wirklich alle kommen, bei diesem schönen Wetter?“ Es war Ende Juli. „Ach, wissen Sie,“ meinte er, „jedem Recht machen kann es nur ein Esel.“ So ging die Probe über die Bühne, und es waren alle da, ohne Ausnahme. Ich konnte eine volle h-moll-Messe-Probe machen können, obwohl sie Samstagnachmittag um drei Uhr angesetzt war.
Der vollständige Wortlaut der Interviews ist in der Buch-Dokumentation Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich [ISBN: 978-3000168642] enthalten.
3. Juni 2008
Ehemalige Mitlieder des Münchener Bach-Chores erinnern sich an Karl Richters Probenarbeit
Probenarbeit bedeutete bei Karl Richter nicht, ein Stück, ein paar Töne einzupauken, sondern er war immer darauf aus, auszuprobieren, und zwar hatte er den Wunsch, die Vielschichtigkeit eines Werkes auch deutlich zu machen. Da hat er ausprobiert, das Tempo mal so, oder Forte, Piano, das war alles unbestimmt, wie das im Konzert kommen sollte. Er sagte dann immer: „Weiß ich noch nicht, da müsst ihr eben herschauen, wie das im Konzert kommt.“ Da hat es natürlich auch manche Überraschungen gegeben.
Dieses Ausprobieren kam von seinem Lehrer Karl Straube. Für Straube war Tradition kein stilistisches Merkmal, kein Rezept, keine feste Aufführungspraxis. Straube ging davon aus, das hat er auch seinen Schülern, eben auch Günther Ramin und Karl Richter, beigebracht, dass die Interpretation eines Werkes durch fortwährende geistige Auseinandersetzung mit dem Werk neue Erkenntnisse und Ergebnisse bringt, und diese Ergebnisse sollten sich in der Interpretation eines Werkes widerspiegeln. Wenn dann ein Künstler wie Karl Richter, der sich ja sehr intensiv immer wieder mit den gleichen Werken beschäftigt hat, zu neuen Erkenntnissen kam oder das und jenes ausprobieren wollte, dann war das in den Proben und Konzerten eben zu spüren.
Ein Beispiel: Ein Choral bei der Matthäus-Passion wird geprobt. Plötzlich bricht Richter ab: „Da dürfen Sie kein Crescendo machen, das ist ja ordinär!“ Der ganze Chor lacht. Er: „Wieso, habe ich das voriges Jahr so gemacht?“
Man musste sich völlig auf ihn konzentrieren. Das erzeugte dann die Spannung in der Probe einerseits und andererseits natürlich auch in den Konzerten, diese ungeheure Spannung, die sich dann auch auf das Publikum übertrug. Es war auch so, dass Spontaneität und Überzeugungskraft ihm wichtiger waren als zum Beispiel reiner Schönklang. Ich kann mich gut erinnern bei verschiedenen dramatischen Stellen, seien es nun Bachsche Passionen oder Händelsche Oratorien, dass er die Dramatik so herausgearbeitet hat, dass es am Ende nicht nur eitel Schönklang war. Aber das Ganze war ungeheuer dramatisch und hat alle mitgerissen, die Ausführenden und auch die Zuhörer. Das war das Faszinierende bei ihm.
Hinweis:
Der vollständige Wortlaut der Interviews ist in der Buch-Dokumentation Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich“ [ISBN: 978-3000168642] enthalten.
Dieses Ausprobieren kam von seinem Lehrer Karl Straube. Für Straube war Tradition kein stilistisches Merkmal, kein Rezept, keine feste Aufführungspraxis. Straube ging davon aus, das hat er auch seinen Schülern, eben auch Günther Ramin und Karl Richter, beigebracht, dass die Interpretation eines Werkes durch fortwährende geistige Auseinandersetzung mit dem Werk neue Erkenntnisse und Ergebnisse bringt, und diese Ergebnisse sollten sich in der Interpretation eines Werkes widerspiegeln. Wenn dann ein Künstler wie Karl Richter, der sich ja sehr intensiv immer wieder mit den gleichen Werken beschäftigt hat, zu neuen Erkenntnissen kam oder das und jenes ausprobieren wollte, dann war das in den Proben und Konzerten eben zu spüren.
Ein Beispiel: Ein Choral bei der Matthäus-Passion wird geprobt. Plötzlich bricht Richter ab: „Da dürfen Sie kein Crescendo machen, das ist ja ordinär!“ Der ganze Chor lacht. Er: „Wieso, habe ich das voriges Jahr so gemacht?“
Man musste sich völlig auf ihn konzentrieren. Das erzeugte dann die Spannung in der Probe einerseits und andererseits natürlich auch in den Konzerten, diese ungeheure Spannung, die sich dann auch auf das Publikum übertrug. Es war auch so, dass Spontaneität und Überzeugungskraft ihm wichtiger waren als zum Beispiel reiner Schönklang. Ich kann mich gut erinnern bei verschiedenen dramatischen Stellen, seien es nun Bachsche Passionen oder Händelsche Oratorien, dass er die Dramatik so herausgearbeitet hat, dass es am Ende nicht nur eitel Schönklang war. Aber das Ganze war ungeheuer dramatisch und hat alle mitgerissen, die Ausführenden und auch die Zuhörer. Das war das Faszinierende bei ihm.
Hinweis:
Der vollständige Wortlaut der Interviews ist in der Buch-Dokumentation Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich“ [ISBN: 978-3000168642] enthalten.