In 1954 und den darauffolgenden Jahren konnte Karl Richter weitere renommierte Interpreten für sein Bachorchester gewinnen, die Schweizer Edgar Shann aus Lutry am Genfer See, Aurèle Nicolet aus Neuchatel und Peter-Lukas Graf aus Zürich, Paul Meisen aus Hamburg, Kurt Hausmann aus Würzburg und Manfred Clement aus München sowie Kurt-Christian Stier vom Bayerischen Staatstheater als Konzertmeister.
Edgar Shann (Oboe) und Karl Richter (Cembalo)
Aurèle Nicolet
"Das erste, was ich von Karl Richter hörte, waren die Goldberg-Variationen 1956 in Ansbach. Ich kannte dieses Werk nicht, ich war aber in der Generalprobe bei ihm. Er hat das auch für mich gespielt, und ich war sehr beeindruckt. Das war wie eine Art Vision von dem ganzen Werk. So hatte ich Bach noch nie gehört. Ich war auch im Konzert, und das wurde von den Bach-Spezialisten der damaligen Zeit, Carl Seemann und Edith Picht-Axenfeld, sehr kritisiert. Die standen im Konzert auf und sagten: „Das ist aber kein Bach!“ Doch ich fand das wunderbar, mich hat das zu tiefst berührt."
Aurèle Nicolet (Flöte)
Paul Meisen
"Ich bin Karl Richter zum ersten Mal in Hamburg begegnet, als er die Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach in zwei Konzerten aufführte. Auch ich wurde aufgefordert, dem Kammerorchester für diese Aufführung beizutreten. Die Sache Hamburg sollte sich wohl nach Richters Vorstellungen weiter entwickeln, aber es blieb bei diesem einen Mal. Er war wohl etwas enttäuscht, dass die meisten der Kammerorchestermitglieder auch bei anderen Kammermusikvereinigungen spielten, und da fühlte er die zentrale Ausrichtung auf sich nicht ganz gewährleistet. Ich bin dann der einzige gewesen, den er aus dieser Formation zu seinen Orchester- und Choraufführungen immer nach München holte."
Paul Meisen (Flöte)
Kurt Hausmann
"Wir hatten hier, am damaligen Konservatorium in Würzburg, Heinz Endres als Lehrer. Der war Münchner und einer der ersten, der bei Richter Konzertmeister gespielt hat. Und ein Orchester für sechsmal Matthäus-Passion für Auslandsreisen zusammen zustellen, ist nicht so einfach. Richter hat also Heinz Endres gefragt: „Haben Sie in Würzburg nicht noch ein paar gute Leute?“ Da hat Endres gesagt: „Ja, Oboe, Geige und Bratsche.“
Ich fuhr nach München zur Probe, dann ging es im Zug nach Italien. Die erste Aufführung war in Triest, dann Florenz, Turin, und die letzte Aufführung war in Rom. Dort war eine Sitzprobe angesetzt, Richter wollte aber noch etwas probieren, da ein neuer Tenor gekommen war. Und mein lieber Kollege aus München hatte die Oboe nicht dabei, es war ja nur eine Sitzprobe.
Da kam die große Arie „Ich will bei meinem Jesus wachen“ und Richter schaute zu mir her: „Können Sie das mal übernehmen? Ich muss da ein paar Takte probieren.“ „Ja, natürlich, gerne.“ Er fing an und hat das ganze Stück, es ist ja ziemlich lang und mit Chor, durchspielen lassen bis zum Schluss. Der letzte Ton war noch nicht verklungen, Applaus und Getrampel vom Chor hinten, ich bin bald versunken. Es ging weiter, und am Schluss kam Richter zu mir und sagte: „Wo kommen Sie denn her, ich kenne Sie nicht, da müssen Sie aber heute Abend das Solo spielen.“ Da hab ich gesagt: „Herr Richter, das geht nicht, das kann ich meinem Kollegen gegenüber nicht machen. Aber wenn Sie wollen, ich komme gern mal zu Ihnen nach München.“ ..."
Manfred Clement und Kurt Hausmann (Oboe)
Peter-Lukas Graf
"Ende der 1950er Jahre kam ich nach München, um mich dort für einen Berufswechsel vom Orchesterflötisten zum Opernkapellmeister vorzubereiten. Ich spielte aber noch Flöte und wollte das auch nicht völlig weglassen. Und nachdem ich damals in der Schweiz mit dem einzigen guten Cembalisten, Eduard Müller, dem Münsterorganisten von Basel, Konzerte gegeben hatte, fragte ich ihn: „In München, was mach ich da, kennst du irgendjemanden?“ Da sagte er: „Da ist doch der Karli, geh zu Karli, sag einen schönen Gruß, er soll mit dir spielen.“ Richter war für mich natürlich ein Name, aber mehr nicht.
Ich kam also nach München und sah ein Konzert angezeigt mit Händel-Orgelkonzerten in der Markuskirche. Ich ging in das Konzert. Leider hatte ich einen Platz, von dem aus ich nicht auf die Empore sehen konnte, ich habe also Richter, der mir nicht bekannt war, gar nicht gesehen. Aber das war eines der ganz wenigen Konzerte in meinem Leben, in denen ich vom ersten bis zum letzten Ton fasziniert und von dieser Art des Musizierens völlig erfüllt und begeistert war. Ich ging dann auf die Empore hinauf, um Richter zu suchen. Da war fast kein Mensch mehr, da lief nur noch einer im Regenmantel herum, so ein bisschen unscheinbar, und ich fragte den: „Können Sie mir sagen, wo Herr Richter ist?“ Der schaute mich sehr komisch an und sagte: „Selber.“ Das war meine erste Begegnung. "
Peter-Lukas Graf (Flöte)
Kurt-Christian Stier
"Ich bin ich das erste Mal für das Weihnachtsoratorium in Richters Orchester engagiert worden, habe ihn dadurch kennengelernt und auch den Bach-Chor. Das muss Ende der 50er Jahre gewesen sein. Ich bin erst 1954 nach München gekommen, 1958 in die Staatsoper eingetreten und wurde dort bald Konzertmeister. Bei Richter musste ich nicht Probe spielen, ich war ja von der Oper her bekannt. Nach einiger Zeit wurde ich dann auch in dem berühmten Bach-Orchester Konzertmeister."
Kurt-Christian Stier (Konzertmeister)