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9. Juli 2008

Paul Meisen über Interpretation, Artikulation und Tempo bei Karl Richter

Richter war ja nicht im üblichen Sinn ein Dirigent. Man konnte nicht sagen, dass er ein Taktstockvirtuose war. Im Grunde kam seine Interpretation aus seinem Innersten. Und auch wenn die Dirigierbewegungen gar nicht immer übereinstimmten, die Übereinstimmung mit seinem Inneren war immer gewährleistet, das war etwas Geheimnisvolles. Man merkte auch, wenn es nur die geringste Abweichung gab, ein Sechzehntel oder Zweiunddreißigstel, dass er sofort reagierte. Sein inneres Bild war so stark, dass es sich auf seine Interpretation unmittelbar auswirkte. Ich glaube, er hätte gar nicht zu dirigieren brauchen. Und dass er die großen Passionen, auch die h-moll-Messe, so auswendig beherrschte, dass er auch vom Cembalo her in den Rezitativen Note für Note in seinem Inneren gespeichert hatte, das alles machte ihn zu einer unglaublich charismatischen Figur.


Paul Meisen, Aurèle Nicolet und Karl Richter beim Bachfest Ansbach 1961

Bei ihm hat man erst einmal einen Begriff von Artikulation bekommen. In der Zeit, in der ich meine wesentlichen Orchestererfahrungen machte, das war ja eigentlich die Blüte und das Ende der Zeit des romantischen Orchesterklanges, hat man im Orchester nicht so deutlich artikuliert. Obwohl er eigentlich ein romantischer Bachinterpret war, hat er uns doch sehr klar gemacht, wie eine Artikulation zu sein hatte, und er hat auch beklagt, dass Orchestermusiker von Natur aus so wenig artikulieren können.

Paul Meisen im Jahr 1970

Aber was ich auch noch bei ihm gelernt habe, was sich mir eingeprägt hat, das ist seine Beziehung zum Tempo gewesen. Ich habe bei ihm begriffen: Wenn man ein langsames Tempo wählt, dann muss es von innen heraus schnell gespielt werden. Und wenn man ein schnelles Tempo wählt, dann kann man es von innen heraus langsam spielen. Diese Ambivalenz ist mir bei ihm bewusst geworden und hat mich eigentlich ein Leben lang begleitet und geprägt, auch später dann in meiner Pädagogik.

Paul Meisen im Jahr 2005 in seinem Haus in Gerolsbach/Obb.

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Alle Interviews mit den Zeitzeugen (26 Vokal- und Instrumentalsolisten) sind auf 10 DVDs zum Preis von Euro 150,00 erhältlich, ebenfalls nur bei Conventus Musicus per E-Mail.

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