Seiten

3. Juli 2008

Aurèle Nicolet erinnert sich an Karl Richter



Eine Probe war für Karl Richter immer wieder ein Versuch. Und nicht, wie man auf Englisch sagt, „rehearsal" oder auf Französisch eine „repetition", dass man nach einem bestimmten Schema immer probt. Er änderte von einer Probe zur anderen die Tempi, auch die Gestik, und das hat mich sehr stark an Furtwängler erinnert, den ich gut aus Berlin in dieser Zeit kannte und den ich sehr liebte und bewunderte.



Die h-moll-Sonate von J.S.Bach haben wir sehr oft gespielt. Und ich liebte damals den Neupert-Klang, mit 16-Fuß, mit Pleno. Richter erzählte, Bach hätte auch eine Orgel in Sachsen eingeweiht, er sei Prüfer dieser Orgel gewesen, und die hätte einen 32-Fuß und auch einen Tremolanten. Richter liebte diesen, man sagt heute, romantischen Ton. Einmal, bei der Aufnahme der h-moll-Sonate, die wir in München machten, probten wir vorher noch etwas. Da sagte er zu mir: „Aurèle, warum phrasierst du so viel? Du phrasierst seit 30 Jahren, du weißt das. Lass doch fließen." Das war seine Kunst, die Musik fließen zu lassen.



Bei den letzten Konzerten seines Lebens hatte ich das Glück, sie mit ihm zusammen zu machen. Wir reisten als Duo, durch viele Städte von Deutschland. Frankfurt, München natürlich, Nürnberg, und auch in Norddeutschland. Und das letzte Konzert war in Wilhelmshaven. Er war so müde. Nach dem Konzert bin ich in seinem Zimmer geblieben und habe ein Bier bestellt. Da sagte er zu mir: „Aurèle, guck mal bitte in meinem Koffer, da liegt auf dem Boden ein Stück Papier." Und das Stück Papier, das war eine Abschrift von Luthers Testament. Und wir versuchten das auf Französisch zu übersetzen, und ich erinnere mich nur noch an den letzten Satz: „Wir sind alle Bettler."




Das vollständige Interview mit Aurèle Nicolet (zusätzlich die Interviews mit Peter-Lukas Graf und Kurt Hausmann) gibt es auf DVD zum Preis von Euro 19,00, zu bestellen nur bei Conventus Musicus per E-Mail.

Alle Interviews mit den Zeitzeugen (26 Vokal- und Instrumentalsolisten) sind auf 10 DVDs zum Preis von Euro 150,00 erhältlich, ebenfalls nur bei Conventus Musicus per E-Mail.

Auch die Buch-Dokumentation "Karl Richter in München - Zeitzeugen erinnern sich" enthält die kompletten Interviews, darüber hinaus noch vieles mehr. Ausschnitte aus den Interviews, verbunden mit zahlreichen Musikzitaten aus Karl Richters Live-Konzerten, bringen schließlich die DVDs der Film-Trilogie. Informationen hierzu und Bestellmöglichkeit über den Karl Richter Online-Shop!