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2. Oktober 2007

Film-Dokumentation: Karl Richter Trilogie Teil 3 (Fortsetzung)

In Kürze erscheint der dritte und letzte Teil der Karl Richter Film-Trilogie (ISBN 978-3-00-022647-2), mit dem Untertitel Faszination und Interpretation. Hier weitere Ausschnitte aus den Interviews der Zeitzeugen zu Richters Interpretationsansätzen. (Teil 2)

Abstände zwischen Rezitativ und Arie bzw. Chor (Choral)

Was ich besonders faszinierend bei Richter fand, das waren die Abstände zwischen Rezitativ und Arie. Die waren immer unterschiedlich. Es konnte sein: Herr, bin ichs, bin ichs, bin ichs, das heißt, dass man sitzen blieb. Und dann kam erst der Choral "Ich bins, ich sollte büßen". Oder es konnte sein, dass er unmittelbar anschloss. Und diese unterschiedlichen Pausen, die waren immer richtig. Ganz egal, ob eine lange Pause oder eine kurze Pause, die Beziehung war immer da und hatte immer eine bestimmte Bedeutung. Immer unterschiedlich, immer richtig.

What I found particularly fascinating about Richter was the intervals between Recitative and Aria or, as the case may be, Chorals. They were always varied. It could be "Herr bin ich’s bin ich’s, bin ich’s" so that you remained sitting . And then came the first Choral "Ich bin’s ich sollte büssen". Or it could be that he followed up immediately. And these varying intervals, they were always right. It didn’t matter if it was a long interval or a short one, correlation was always there and always had a special significance Always varied , always correct. (Paul Meisen)



Spontaneität des Continuo-Spiels

Was mich fasziniert hat, war seine Umspielung von den Rezitativen. Dass einer so die Dinge musikalisch charakterlich umspielen kann, das hatte ich bis dahin noch nie erlebt gehabt. Er hat Musik gemacht, wie andere gesprochen haben! Man hatte immer das Gefühl, er macht kein Konzept, sondern er spielt, wie ihm zu Mute ist, sofort aus der Faust, aus den Händen heraus.

What fascinated me was the way the music played around the recitative. That somebody could so characteristically let the music flow around everything, I had never experienced anything like it before. He made music the way others talked! One always had the feeling, that he followed no particular concept, but played, just as he felt , spontaneously, off the cuff. (Karl-Christian Kohn)

Als sehr kreativer und spontaner Musiker nützte er jede Gelegenheit, sich auch am Cembalo kreativ zu betätigen. Da gab es dann manchmal große Überraschungen. Ich spielte damals alles auswendig, und wenn dann seine Cembalo-Konzerte in einer Händel-Sonate plötzlich aufbrausten, da war ich natürlich irritiert, schon fasziniert, aber ich musste mich furchtbar konzentrieren, um dabei zu bleiben. Das war sehr spannend, aber nicht ganz einfach.

As a very creative and spontaneous musician he used every opportunity to play the cembalo. And then, sometimes surprises would happen. At that time I used to play everything off by heart, and when his Cembalo would suddenly flare up in the middle of a Haendel Sonata I was of course both irritated and fascinated, but I really had to concentrate to keep up with him. It was very exciting but never very easy. (Peter-Lukas Graf)



Franz Kelch

Niemand hatte bisher so wie Karl Richter die Cembalo-Begleitung der Rezitative improvisiert. Der letzte Akkord war noch nicht verklungen, die linke Hand lag noch auf der Tastatur, und mit der rechten Hand hat er schon den Einsatz gegeben. Das führte zu einer Konzentration des Musizierens, wie sie vor Richter noch niemand fertig gebracht hatte.

Up until then nobody had ever improvised the cembalo accompaniment for the recitative the way Karl Richter did. The last accord had hardly died away, when, with his left hand still resting on the keys, his right hand gave the signal to start. This led to a concentration, which up until Richter had been unknown in the music world. (Franz Kelch)



Ernst Haefliger

Wir haben uns sehr gut verstanden. Er hat ja am Cembalo jedes Mal anders gespielt, und ich konnte ihm gut folgen. Also bei mir gab es nicht nur Akkorde oder Dreiklänge. Ich habe immer geführt, ich habe immer bewusst geführt. Er hat den Bass im Continuo hervorragend herausgebracht, da hatten wir das gleiche Gefühl. Ich habe auch die Rezitative nicht nur gesprochen, sondern auf der Linie gesungen und die vom Text her wichtigen Punkte angestrebt. Aus dem hat sich dann die Interpretation herausgeschält.

We understood one another very well. Every time he played the Cembalo it was different. But I could always follow him very well. So with me it was not only chords or triads. I always took the lead, I always purposely took the lead. It was astounding the way he brought out the bass in continuo, there our feelings were the same. I not only spoke the recitative, but sang along the line, aiming at the most important points in the text, out of which the interpretation then materialised. (Ernst Haefliger)