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5. November 2006

FAZ 29-10-2006: Einst gab es in Bachs Reich keine Götter neben ihm

Unter dieser Überschrift hat Stephan Mösch letzten Samstag in einer DVD-Besprechung in der FAZ an Karl Richter und seine Musik erinnert.

Er schreibt u.a.

"[...] In Bachs Reich gab es keine Götter neben ihm. Doch als er an seinem zweiten Herzinfarkt im Alter von 54 Jahren starb, traten viele Propheten auf den Plan. Ein Bach-Dirigent, der Knappertsbusch bewunderte, mußte zwangsläufig und schnell von der Originalklangwelle begraben werden. Die Passionsaufführungen wurden kürzer, die Chöre kleiner, die Instrumente älter, und Richter war plötzlich Persona non grata. Man rümpfte öffentlich die Nase über sein subjektives Espressivo.

Im Jahr 2006, wo er achtzig geworden wäre und sich sein Todestag zum fünfundzwanzigsten Mal jährt, ist sowohl der kultischen Verehrung wie der kultischen Verachtung Karl Richters mit Skepsis zu begegnen. Auf einer Reihe von DVDs läßt sich beobachten, worin Charisma und Grenzen seines Musizierens bestanden. Man sieht einen kleinen, kantig taktschlagenden Mann, dessen große Augen nach innen gerichtet sind. Nichts scheint Richter ferner gelegen zu haben, als seinen Chor à la Helmuth Rilling anzufeuern. Was bei Richter nicht inwendig funktionierte, funktionierte gar nicht. Die noch Lebenden unter seinen Solisten bestätigen das in einem von Johannes Martin herausgegebenen Erinnerungsband (F.A.Z. vom 4. Januar 2006). Richter habe nie ein Tempo wiederholt, sagt dort Kieth Engen, und nie eines begründet. Er habe immer aus spontanem Erleben heraus definiert. [...]"


Besprechung FAZ vom 28.10.2006 (für Abonnenten frei, sonst gegen Zahlung von 0,85 Euro)