9. Oktober 2012

Johannes Fink erinnert sich an Karl Richter

Zeitzeugen der Ära Karl Richter im Interview



Johannes Fink beim Interview am 10. Oktober 2004 im Orgelsaal der Musikhochschule München

Johannes Fink über seinen ersten Kontakt mit Karl Richter

...Zum Münchener Bach-Orchester bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Ich bin im Mai 1964 in die Hochschule zum Unterricht und lauf mit meinem Cellokasten an der Pforte vorbei und aus der Pforte stürmt ein dicker großer, schwitzender Mann auf mich zu und fragt: „Haben Sie einen Frack? Haben Sie einen gültigen Reisepass, Sie sind engagiert.“ Dann habe ich ein bisschen gestutzt, und hab gefragt, worum es denn eigentlich ginge, und dieser Mensch hat mir dann gesagt, dass also in zwei Tagen eine Konzertreise des Münchener Bach-Chores und -Orchesters nach Italien stattfinden soll, und ein Cellist der Oper musste absagen, weil er von seinem Chef nicht frei bekommen hat. Und jetzt braucht er dringend unbedingt einen Cellisten.

Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, bin dann zu meinem Celloprofessor gegangen, hab den gefragt, und der hat gesagt: „Unbedingt zusagen, unbedingt, ganz, ganz wichtig.“ Und dann bin ich wieder zu dem Herrn Klosa, das war der Hausmeister der Hochschule, und wie sich dann später herausgestellt hat, die rechte Hand von Karl Richter, und hab „ja“ gesagt. War dann in der Markuskirche am nächsten Tag zu zwei Proben und wieder am nächsten Tag saß ich mit Frack und Reisepass, denn das waren ja meine Qualifikationen, im Zug mit Bach-Chor und Bach-Orchester.

Es war eine unglaublich schöne Reise, 10 Tage lang, wir haben in Palermo angefangen, und sind dann rauf bis Turin. Ja, ich war da ein ganz, ganz junger Kerl, war Student, und hab mich unglaublich gefreut.



Der Pilot Johannes Fink im Jahr 1980

Johannes Fink über seine Flüge mit Karl Richter

...Irgendwann muss ihm jemand erzählt haben, dass ich eine sehr hohe Pilotenlizenz hatte, und dann hat er mich eines Tages angerufen und gesagt, sein Problem sei, dass es am ersten Weihnachtsfeiertag keine Linienflüge gibt. Aber er war ja ein richtiger Kantor, er hat seinen Kirchendienst ernst genommen und spielte am ersten Weihnachtsfeiertag früh den ersten Gottesdienst. Und dann sitzt er in München fest, weil es da an diesem Tag keine Linienflüge gibt. Ob ich ihn da nicht nach Hause fliegen könnte. Dann hab ich gesagt: „Ja, natürlich, gern, mache ich."

Und ich erinnere mich noch genau an den ersten Flug. Ich hab ihn im Hotel abgeholt, zum Flughafen rausgefahren, das war damals ja noch Riem, und natürlich hab ich den Flug sehr ernst genommen. Ich hatte einen first officer, den Copiloten dabei, die Maschine war schon was Besseres, und er saß hinten drin, und wir haben ihn nach Zürich geflogen. Zwei, drei Wochen später ruft er mich dann an. Ja, also dankt mir noch einmal, dass er rechtzeitig zum Weihnachtsessen nach Zürich gekommen ist und ob er, wenn es Not am Mann wäre, mich wieder fragen könnte. „Ja, selbstverständlich, gerne." Und dann kam der nächste Flug, unter den vielen Flügen, und dann fragte er mich, ob der da vorne unbedingt mit drin sitzen müsste. Dann sagte ich: „Nein, nicht unbedingt, bei dem Flugzeugtyp darf ich auch allein fliegen." Ja, also dann wäre das ihm lieber. Von dem Augenblick an saß er vorne neben mir, rechts im Cockpit. Oft hat er interessiert zugesehen, aber meist es hat dann nicht lang gedauert, dann hat er irgendeine Taschenpartitur herausgeholt und hat darin geblättert. Im Nachhinein habe ich gemerkt, dass er immer voll dabei war, denn es hat ihn auch der technische Aspekt des Fliegens durchaus interessiert.

Ganz besonders erinnere ich mich an den letzten Flug, den ich mit ihm gemacht habe. Das war 1980 zu Weihnachten. Ganz kurz zuvor stand in der Abendzeitung dieses ominöse Interview mit dem damaligen Philharmoniker-Chef Celibidache, in dem der „Celi" über alle Dirigenten hergezogen ist. Und wir sitzen nebeneinander im Flugzeug, und er fragt mich den ganzen Flug über: „Sag mal, stimmt das, was er über den Karajan gesagt hat?" Und ich konnte immer nur sagen: „ Man weiß doch, was eine Boulevardzeitung für Aussagen macht. Ich glaube nicht, dass er es gesagt hat, aber zutrauen würde ich es ihm schon." Er: „Ja, und stimmt es, was er über den Knappertsbusch gesagt hat?" So hat er über die ganzen Dirigenten, über die der Celibidache da gelästert haben soll oder auch hat, nachgefragt. Dann war die Landung in Zürich. Ich hab seinen Koffer genommen, sein Sohn hat schon mit dem Auto gewartet, ich hab ihn bis zur Passkontrolle gebracht und war schon wieder auf dem Rückweg. Da ruft er mich noch mal zurück und fragt: „Sag mal, über mich hat er wohl gar nichts gesagt?" Und das fand ich so schön. Das war der Grund, weswegen er den ganzen Flug über von den anderen Dirigenten etwas wissen wollte.

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